Stadt im Königreich

Der Stadtbrand von 1851

Das 19. Jahrhundert, als Epoche bereits beginnend mit der französischen Revolution, bescherte Deutschland und besonders Bayern eine völlig neue Zeit. Der mittelalterliche Ständestaat wurde abgeschafft. Abteien und Klöster wurden aufgehoben, ihre Besitztümer verstaatlicht.

Im Dezember 1800, nach der Schlacht bei Hohenlinden, besetzten französische Truppen Traunstein; es sollte nicht die letzte Belastung durch die Napoleonischen Kriege sein. Entsprechend euphorisch feierte man, nachdem Bayern die Seiten gewechselt und sich mit Frankreich verbündet hatte, am 9. Januar 1806 auf dem Stadtplatz die Proklamation Maximilians zum König. Nicht einmal ein halbes Jahr später musste das Kapuzinerkloster seine Pforten für immer schließen. 1808 verlor die Stadt durch die Konstitution, die erste bayerische Verfassung, den Großteil ihrer althergebrachten Rechte, unter anderem die niedere Gerichtsbarkeit. Magistratsräte und Gemeindebevollmächtigte ersetzten nun den Inneren und Äußere Rat. Allen Widrigkeiten zum Trotz: Traunstein blieb auch weiterhin Verwaltungszentrale und Handelsmittelpunkt des Chiemgaus, letzteres umso mehr, seit 1816 die Grenze zu Österreich nach Osten an die Salzach verlegt worden war. Überregionale Bedeutung hatte neben der Saline die Schranne, der wöchentliche Getreidemarkt auf dem Stadtplatz, nach München und Erding der drittgrößte im Königreich, noch vor Landshut, Rosenheim oder Ingolstadt.

Ein beschauliches biedermeierliches Leben hatte sich ausgebreitet, dem eine der größten Katastrophen der Stadtgeschichte ein jähes Ende bereitete. In der Nacht vom 25. auf den 26. April 1851 brach in einem Stadel vor dem oberen Tor ein Brand aus. Starker Wind verbreitete die Glut in rasender Geschwindigkeit; die Stadt wurde ein Raub der Flammen. Das Feuer zerstörte annähernd 100 Häuser, unter ihnen Rathaus, Landgericht, Hauptsalzamt und Rentamt, die Kirche sowie sämtliche Tore und Türme; an die 700 Bewohner waren obdachlos. „Traunstein, das schöne Traunstein liegt in Asche!“, meldete erschüttert der Münchner Volksbote. Doch wie schon nach 1704 gelang es auch dieses Mal, die Stadt innerhalb weniger Jahre wieder aufzubauen. Aus nah und fern traf Hilfe ein. Selbst der 1848 resignierte König Ludwig I. wies 3.000 Gulden aus seiner „Cabinettscasse“ an. Unter Wahrung der historischen Anlage entstand der – heute als Ensemble denkmalgeschützte – neue Stadtplatz. Vor allem die Verwaltungsgebäude, unter ihnen das ab 1855 für 30.000 Gulden errichtete Rathaus, setzten architektonische Akzente. Am längsten zog sich die Renovierung der Oswaldkirche hin; noch Anfang der 1880er-Jahre zeigten Fotografien den ruinösen, teilweise eingestürzten Turm mit Notdach. Die Gestaltung des Innenraumes sowie die Ergänzung und Anschaffung des Inventars waren erst Anfang des 20. Jahrhunderts abgeschlossen.

 

Leider haben wir keinen Alternativtext zu diesem Bild, aber wir arbeiten daran.
Ansicht der Stadt Traunstein, im Vordergrund die Saline (Kupferstich, Johann Michael Probst, Augsburg, 1793, Stadtarchiv Traunstein, Urkunde Nr. 1659)

     

Technisierung und Expansion


Nur kurz bremste 1854 eine Cholera-Epidemie, die immerhin 71 Opfer forderte, den Aufschwung. Seinen entscheidenden Impuls erhielt er durch den Bau der Eisenbahnlinie München–Salzburg, die am 12. August 1860 feierlich eingeweiht wurde. Sie ersparte Traunstein das Schicksal vieler alter Handelsmetropolen, die abseits des neuen Transportmittels in einen Dornröschenschlaf verfielen. Zugleich wurde auch der Grundstein für eine künftige städtebauliche Entwicklung zwischen der Altstadt und dem im Westen errichteten Bahnhof gelegt.

Ein Großteil dessen, was das heutige Traunstein ausmacht, hat seine Wurzeln in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Gebildete und vorausschauend handelnde Bürgermeister wurden ihrer Verantwortung gerecht. In die Amtszeiten von Jakob Prandtner (1857–1872), Josef Wispauer (1873–1878) und Joseph Ritter von Seuffert (1878–1909) fielen der Aufbau der weiterführenden Schulen, der Handels- und Gewerbeorganisationen und des Bankwesens, die Gründung der Feuerwehr (1859) und der Stadtwerke (1893) und die Anfänge der lokalen Presse: Dem am 1. Juli 1855 erstmals erschienenen Traunsteiner Wochenblatt folgten 1882 die Traunsteiner Nachrichten. Ein florierendes Vereinswesen belebte das gesellschaftliche Leben. Der Turnverein, der ab 1864 den Sport als bisher unbekannte Freizeitbeschäftigung etablierte, der 1891 gegründete St. Georgs-Verein, der eine im 18. Jahrhundert verbürgte Pferdewallfahrt zur Ettendorfer Kirche neu belebte, und der Verein „Bürger-Eintracht“, der die „Unterhaltung mit Musik und Gesang“ pflegte, seien stellvertretend genannt. Auch die Kultur trat nun mehr und mehr in Erscheinung. Das Stadttheater etwa lud regelmäßig zu seinen Vorstellungen ein, und das Publikum machte von diesem Angebot gerne Gebrauch. Die bunte Palette reichte von Goethes „Faust“ über die „Geierwally“ bis hin zum deftigen bäuerlichen Volksstück.

Den positiven Gesamteindruck trübte am 28. März 1868 ein Aufruhr militärpflichtiger Bauernburschen, die, aufgehetzt von antipreußischen Parolen, das Rathaus verwüsteten und Traunstein landesweit in die Schlagzeilen brachten. „Die Achtung vor dem Gesetz und dessen Vertretern, wodurch sich gebildete Stämme vor ander[e]n auszeichnen, ist bei uns ohnehin nicht eingebürgert.“ Wenig schmeichelhaft, ja geradezu vernichtend kommentierte das Wochenblatt diese „viehische Rohheit und Ausgelassenheit“. Als Ludwig Thomas „Krawall“ ging der Vorfall in die bayerische Literaturgeschichte ein.

Ungeachtet dessen führte der Weg in den Jahren nach der Reichsgründung weiterhin steil bergauf. 1876 verlieh König Ludwig II. der Stadt, auch in Anerkennung ihrer gewaltigen Aufbauleistung, das Recht der „unmittelbaren Unterordnung unter die königliche Kreisregierung“. 1893 wurde die erste elektrische Straßenbeleuchtung installiert, 1895 die Lokalbahn nach Ruhpolding dem Verkehr übergeben, 1897 im Rathaus das erste öffentliche Telefon in Betrieb genommen. Die aus bescheidenen Anfängen gewachsene evangelisch-lutherische Gemeinde bekam 1899 mit der Auferstehungskirche einen geistlichen Mittelpunkt. Am 13. September desselben Jahres wurde die Stadt von einem Hochwasser bislang nicht bekannten Ausmaßes heimgesucht. Die Vorstädte und die Au wurden überflutet, sämtliche Brücken und Stege weggerissen. Umfassende Maßnahmen zur Regulierung der Traun waren die Folge. Sie waren der entscheidende Anstoß für den technischen Hochwasserschutz, der bis hinein in unsere Tage den sich ändernden Gegebenheiten angepasst und verbessert wird. Denn nach wie vor darf man die Gefahren, die dieser Gebirgsfluss in sich trägt, nicht unterschätzen. Starker Regen lässt das harmlose Rinnsal binnen Stunden bis an die Kronen seiner Dämme anschwellen.

 

   

Traunstein, mein Ruheposten


Im Verlauf von 80 Jahren hatte sich die Einwohnerzahl mehr als vervierfacht: von rund 1.700 (1822) über 3.100 (1861) auf 7.400 (1905). Verantwortlich für diesen immensen Zuwachs war eine aktive Ansiedelungspolitik. Unter anderem warb man mit der Broschüre „Traunstein, mein Ruheposten“ erfolgreich um den Zuzug gut betuchter Pensionäre aus ganz Deutschland. Diese Neubürger waren es auch, die einen Großteil der viel bewunderten Jugendstilvillen in den städtischen Außenbezirken errichteten. Im Einklang damit stand das Bestreben, Traunstein den Charakter eines Kurortes zu verleihen. Zum 1844 erbauten Kurhaus am Klosterberg und dem 1848 privatisierten Wildbad in Empfing gesellten sich um 1890 das Marienbad in der Sonnenstraße (heute Ludwig-Thoma-Straße) und 1912 das Prinz-Ludwig-Heim. 1905 renovierte man die 1875 eröffnete Schwimm- und Badeanstalt, 1913 wurde von der Stadt Reichenhall eine gebrauchte Wandelhalle angekauft und an der Haslacher Straße aufgestellt. Die Übernachtungszahlen stiegen stetig an und in den Jahren 1936 und 1938 wurden die Anstrengungen mit den Prädikaten „Luft- und Kneippkurort“ belohnt. Nach einer langen und kontrovers diskutierten Planung und Standortsuche wurde 1908 der neue Waldfriedhof drei Kilometer nördlich des Zentrums im Stadtteil Haid eingeweiht. Der alte Gottesacker hatte, bedingt durch den rapiden Bevölkerungsanstieg, die Toten nicht mehr aufnehmen können.

1910 fasste die Kammer der Abgeordneten des Landtags einen folgenschweren Beschluss. Die auf mehrere Standorte verteilte bayerische Salzindustrie sollte zentralisiert werden. Obwohl in der Au ab 1870 mit Hilfe einer fünften Pfanne bis zu 200.000 Zentner jährlich produziert wurden, ging man aus dem Wettbewerb mit den Nachbarsalinen in Reichenhall und Rosenheim trotz heftiger Gegenwehr als Verlierer vom Platz. Am 29. Juni 1912 war die „Traunsteiner Salzgeschichte“ unwiderruflich zu Ende. 1914 wurde die Au eingemeindet, die Saline diente im Ersten Weltkrieg als Lager für Zivil- und Kriegsgefangene mit über 1.000 Insassen. Den Wachmannschaften der letzten Kriegstage, von einem Zeitgenossen als „faul, zuchtlos, anspruchsvoll und frech“ charakterisiert, gehörte auch ein damals noch unbekannter Gefreiter namens Adolf Hitler an. Am 8. Dezember 1922 hielt er in der überfüllten Halle des Turnvereins seine erste von insgesamt drei Reden in Traunstein.

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Die Saline auf dem Höhepunkt ihrer Produktivität, kurz vor ihrer Stilllegung und als Gefangenenlager im Ersten Weltkrieg (Öl auf Leinwand, 53 × 116 cm, Nikolaus oder Josef Gumberger, Traunstein, um 1878)